(pacm) Im Absatz 1 des Artikels 5 des Grundgesetzes steht: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.“ Ähnlich findet man es in Absatz 1 des Artikels 11 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union: „Jede Person hat das Recht auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Meinungsfreiheit und die Freiheit ein, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben.“
Hat Deutschland in diesem Kontext nicht eine besondere Verantwortung, geradezu eine historisch bedingte Vorbildfunktion? Denken wir an Hans und Sophie Scholl, die bekannt wurden als Mitglieder der „Weißen Rose“, einer studentischen Münchener Gruppe, die während des Zweiten Weltkriegs im Widerstand gegen den Nationalsozialismus aktiv war. Am 18. Februar 1943 wurde das Geschwisterpaar beim Auslegen von Flugblättern an der Münchner Universität vom Hausmeister Jakob Schmid überrascht und bei der Gestapo denunziert. Vier Tage später fand der Prozess gegen sie vor dem Volksgerichtshof mit dem Ankläger Reichsanwalt Albert Emil Rudolf Weyersberg und dem Richter Roland Freisler statt. Die Geschwister wurden zusammen mit dem mitangeklagten Christoph Probst zum Tode verurteilt und wenige Stunden später im Gefängnis München-Stadelheim von Johann Reichhart mit der Guillotine enthauptet. Nach Ende des 2. Weltkriegs fragten sich viele: „Wie war das möglich?“
Heutzutage scheint so etwas nicht mehr denkbar. Oder? Wehret den Anfängen! Auf der Seite der Bundeszentrale für politische Bildung findet man zum Thema Denuziation: „Es ist eine unrichtige und gemeine Beschuldigung. Jemand anderen zu denunzieren ist verboten und steht unter Strafe.“, sowie „Es gibt auch den Begriff „politische Denunziation“. So fürchten sich in Diktaturen viele Menschen davor, von anderen Menschen wegen ihrer politischen Meinung verraten, also denunziert zu werden. Sie haben Angst, dann ins Gefängnis zu kommen oder noch Schlimmeres erleiden zu müssen.“ Sind somit eine öffentliche oder sogar eine politisch gewollte Denunziation ausgeschlossen?
Die Amadeu Antonio Stiftung betreibt auf ihrer Webseite eine „Meldestelle Antifeminismus“. Ohne zwingende Angabe der eigenen Daten darf und kann man dort Menschen nach eigenem Gutdünken denunzieren. Gibt es hierzu einen Aufschrei des Widerspruchs? Ganz im Gegenteil wird die Amadeu Antonio Stiftung von der Bundesregierung finanziell gefördert. Was seitens des Bundesfamilienministeriums als ein innovatives Instrument im Kampf gegen Frauenfeindlichkeit angepriesen wird, öffnet der Denunziation politisch unliebsamer Anschauungen Tür und Tor.
Am 16. Dezember 2022 wurde das Hinweisgeberschutzgesetz im Deutschen Bundestag verabschiedet. Kaum beachtet, unterminiert das Hinweisgeberschutzgesetz eine tragende Säule des Rechtsstaats, nämlich die berufliche Verschwiegenheitspflicht. Das Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) erlaubt ausdrücklich die Verletzung der Verschwiegenheitspflicht, ohne dass eine Strafe und der Verlust der Berufszulassung drohen. Ausnahmen bestehen nur noch für wenige Berufsgruppen wie Rechtsanwälte und Notare, sowie Ärzte, Zahnärzte und Apotheker. Wer jedoch einen Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Sozialarbeiter, Sozialpädagogen, Berufspsychologen, Ehe-, Familie-, Jugend-, Erziehungs- oder Suchtberater aufsucht, kann nicht mehr sicher sein, dass diese Persongruppen etwaige Gesetzesverstöße nicht melden. Was ist dies Anderes als zu denuzieren?
Findet man ein solches Denunziantentum nur im kleinen Kreis, quasi unter dem Radar? Nein, tatsächlich findet man solche Auswüchse jeden Tag in allen Medien. Menschen werden diffamiert, ausgegrenzt und psychisch und wirtschaftlich fertig gemacht, ohne dass es einen Aufschrei der Entrüstung gibt. Voraussetzung ist, dass sie etwas tun oder sagen, was dem offiziellen Narrativ widerspricht. Äußert man z.B., dass man Vorbehalte gegen eine Impfung hat, darf man nicht auf sein Recht auf körperliche Unversehrheit hinweisen, sondern man wird als Covidiot, Schwurbler oder Verschwörungstheoretiker verunglimpft und darf z.B. nicht an einem Tennisturnier in Australien teilnehmen. Äußert man die These, egal wie gut sie belegt sein mag, dass die Terroranschläge auf die Nord Stream Pipelines von zwei NATO-Mitgliedsstaaten geplant und in die Tat umgesetzt wurden, wird man ausgelacht und als senil diffamiert. Weist man darauf hin, dass der Ukraine-Krieg bereits 2014 begonnen hat, sind die Folgen fatal. Warum scheint es inzwischen so schwierig, ja beinahe unmöglich zu sein, miteinander Themen und Thesen in einem respektvollen Miteinander zu diskutieren? Warum scheint es nötig zu sein, Menschen mit anderer Meinung, egal wie gut sie begründet ist, nieder zu machen?
Ein gutes Beispiel für unsachgemäße Vorbehalte und aus der Luft gegriffene Behauptungen ist der Angriff auf den schweizer Historiker und Friedensforscher Dr. Daniele Ganser. Er untersucht die Themen Frieden, Energie, Medien, Krieg und Terror. Auf seiner Webseite erläutert er sein Ziel, nämlich alle Menschen zu stärken, die sich achtsam für den Frieden und eine intakte Umwelt engagieren. In seinen Vorträgen und Büchern beschäftigt er sich schwerpunktmäßig mit der internationalen Zeitgeschichte seit 1945, verdeckten Kriegsführungen, mit der Arbeit von Geheimdiensten, mit Geostrategien und einigen weiteren Themen. Er äußert sich dabei an keiner Stelle justiziabel, menschenverachtend oder antisemitisch. Allerdings ist er kritisch und fundiert in seiner Haltung, was nicht jedem gefallen mag. Aber darf dies in einem demokratischen Rechtsstaat ein Grund dafür sein, ihn zu diffamieren und mundtot zu machen?
In Dortmund will Oberbürgermeister Thomas Westphal (SPD) einen Vortrag von Dr. Danile Ganser am 27. März 2023 verhindern. Er hat angeordet, dass die Westfalenhallen Dortmund den mit dem Historiker geschlossenen Mietvertrag aufkündigen. Ist das die Aufgabe eines Oberbürgermeisters? Darf er von oben herab die Weisung geben, dass ein privatwirtschaftlich geschlossener Vertrag aufgelöst wird? Nein, sagte am 8. März 2023 das zuständige Verwaltungsgericht in Gelsenkirchen, das den Fall geprüft hat. Aber der Oberbürgermeister der Stadt Dortmund gibt sich damit nicht zufrieden und hat Beschwerde gegen die Entscheidung eingelegt. Eine Einladung zum Vortrag, um sich ein wahrhaftiges persönliches Bild machen zu können, hat er nicht angenommen. Ist dies ein demokratischer Diskurs?
Der „Fall Dortmund“ ist kein Einzelfall. Immer häufiger wird deutlich, dass die Verfasser von unliebsamen Meinungen mit heftigstem Gegenwind rechnen müssen, sowohl von Seiten der Politik, als auch von Seiten der Medien. Kennt man so etwas nicht aus längst vergangenen Zeiten? Ist es nicht insbesondere in Deutschland ratsam, sich mit Andersdenkenden auszutauschen, anstatt sie zu diffamieren, zu denunzieren und auszugrenzen? Muss es erst wieder dazu kommen, dass man sich irgendwann die Frage stellt: „Wie war das möglich?“