Zum Vortrag von Dr. Daniele Ganser in der Westfalenhalle 2
Der Oberbürgermeister der Stadt Dortmund, Thomas Westphal, versuchte einen Vortrag von Dr. Daniele Ganser in der Westfalenhalle 2 am 27. März 2023 zu verhindern. Erst das Verwaltungsgericht in Gelsenkirchen und das Oberverwaltungsgericht in Münster ermöglichten die Veranstaltung, indem sie eine Vertragskündigung der Westfalenhallen Dortmund für ungültig erklärten. Die Richter wiesen darauf hin, dass eine freie Meinungsäußerung nicht durch Vorgaben der Politik unterminiert werden darf. Der Vortrag fand dementsprechend vor 2.000 Zuschauern in der ausverkauften Halle 2 statt.
Ganser berzeichnet sich selbst laut seiner Webseite als Historiker, Friedensforscher und Menschenfreund. Diese Begriffe nutzt er auch in seinem Vortrag mehrfach. Die Frage ist, woran macht er das fest, wie fundiert sind seine Darstellungen der geschichtlichen Fakten und wie neutral und wie unpolemisch trägt er seine Überzeugungen vor? Ein Résumé.
Ab dem späten Nachmittag versammeln sich vor dem Eingang der Halle 2 etwa 80-100 Demonstranten mit der ukraninischen Flagge und mit Plakaten, auf denen u.a. „Putin ist ein Mörder“ steht. Es gibt Sprechchöre mit „Russland ist ein terroristischer Staat“. Die vor der Halle auf Einlass wartenden Zuschauer diskutieren und fragen u.a., was diese Demonstration mit dem Thema „Warum ist in der Ukraine ein Krieg ausgebrochen?“ zu tun hat. Schließlich geht es in erster Linie um das „Warum“.
Aus den Gesprächen erhält man einen Überblick über die sozialen und beruflichen Hintergründe der Anstehenden. Man findet Schüler, Studenten, Lehrer, Handwerker, Krankenschwestern, Heilpraktiker, Pharmareferenten, Ärzte, Unternehmer, Beamte, Angestellte, Versicherungskaufleute, Polizisten, Rollstuhlfahrer, Rentner, Arbeitslose. Ein Mix aus allen sozialen Schichten und Berufsbereichen, ein Querschnitt der deutschen Gesellschaft. Was man nicht findet, sind Randalierer, Proleten, Skinheads, Springerstiefelträger oder Nazis.
Der Vortrag beginnt pünktlich. Ganser betritt die Bühne, er wird mit einem herzlichen Beifall begrüßt. Er wirkt positiv, charismatisch, offen und sympathisch. Seine ersten Worte werden herzlich aufgenommen, das Publikum ist dem Vortragenden unverkennbar wohlgesonnen.
Die Einleitung des Vortrags überrascht viele der Besucher. Es geht nicht um den Ukraine-Krieg, sondern Ganser erklärt, wie ein Gehirn funktioniert. Was sind Nervenzellen, was sind Synapsen, wie werden Eindrücke von Bildern und von Gehörtem verarbeitet? Er erklärt, dass der wichtigste Punkt die fortlaufende Wiederholung ist. Erst durch das vielfache Lesen und/oder Hören werden Worte und Bilder im Gehirn abgespeichert. Und genau darum, so Ganser, fußt eine erfolgreiche Propaganda immer auf einem stetigen Wiederholen der Inhalte, welche die Menschen verinnerlichen und als wahr abspeichern sollen.
Danach geht Ganser über zu dem eigentlichen Thema „Warum ist der Ukraine-Krieg ausgebrochen?“. Was er als erstes feststellt und sehr deutlich macht, ist, dass Wladimir Wladimirowitsch Putin, der Präsident der russischen Föderation, völkerrechtswidrig und illegal den Einmarsch in die Ukraine befohlen hat. Er erteilt Putin die „Rote Karte“. Nanu, ist das nicht genau das Gegenteil dessen, was Ganser immer unterstellt wird? Er verteidigt Putin also nicht, er nimmt ihn auch nicht in Schutz? Warum waren dann die 80-100 Demonstranten vor der Halle? Warum hat der Oberbürgermeister der Stadt Dortmund versucht, den Vortrag zu verhindern?
Die nächsten Themen, die Ganser erläutert, betreffen die Hintergründe des Ukraine-Konflikts. Die Osterweiterung der NATO insbesondere durch Bill Clinton entgegen den mündlichen Zusagen im Zuge der Wiedervereinigung 1989 und 1990, die Einladung 2008 von George W. Bush an die Ukraine, der NATO beizutreten, den Putsch 2014 auf dem Maidan, die Absetzung des damals demokratisch gewählten Präsidenten Viktor Janukowitsch mit Hilfe der CIA, die Übernahme der Regierungsgeschäfte durch Petro Poroschenko, der nachfolgende Anschluss der Krim-Halbinsel an Russland 2014, die Wahl des Schauspielers, Komikers und Filmproduzenten Wolodymyr Oleksandrowytsch Selenskyj 2019 zum Präsidenten der Ukraine, die Bombardierung der Menschen im Donbas bis hin zum Einmarsch russischer Truppen am 24. Februar 2022 in die Ukraine.
Als Besucher des Vortrags ist es kaum möglich, sich alle Details zu merken, geschweige denn dass man die aufgeführten Inhalte überprüfen kann. Es gibt hierzu widersprüchliche Einschätzungen und Meinungen. Für Außenstehende ist es, um sich ein Gesamtbild verschaffen zu können, laut Ganser zielführend, sich mit möglichst vielen Quellen und Darstellungen auseinanderzusetzen.
Die „Rote Karte“, die Putin eingangs erhalten hat, zeigt Ganser im übertragenen Sinne auch anderen Politikern, von denen er darlegt, dass sie zur Verschärfung des Konflikts beigetragen haben. Hierzu gehören u.a. die US-Präsidenten George W. Bush, Bill Clinton und Barack Obama, aber auch der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz. Nimmt er damit Putin in Schutz? Wohl kaum, es sieht eher danach aus, dass er die Verantwortung an der aktuellen Situation bei vielen Protagonisten sieht.
Was auffällt, ist, dass der Vortrag zu keinem Zeitpunkt aggressiv oder polemisch ist, geschweige denn antisemitische Tendenzen beinhaltet. Woher kommt dann das Pauschalurteil, das man auch in Dortmund mehrfach gehört hat, dass Ganser ein Antisemit, ein Rechtsextremist oder ein Nazi wäre, was auch die Begründung der Vertragskündigung der Westfalenhallen gewesen war? Aus den Inhalten seiner Webseite, seiner Bücher und seiner Vorträge kann man diese Einschätzung auf jeden Fall nicht ableiten. Auch die Besucher des Vortrags lassen nicht einmal ansatzweise auf solch eine Stigmatisierung schließen. Warum also?
Geht man auf die Frage des “Warum“ ein, landet man unweigerlich in einem Bereich, der dazu führt, erkennen zu müssen, dass die Meinungsfreiheit in der Bundesrepublik Deutschland nicht den Schutz genießt, der im Grundgesetz in Art. 5 verankert ist „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.“ Wird es nicht Zeit, gerade im Hinblick auf die deutsche Historie, Meinungen zuzulassen und sich auf auf einer sachlichen Ebene damit auseinanderzusetzen?
Zum Ende seines Vortrags bekräftigt Ganser mehrfach seine Überzeugung, dass es nicht zielführend ist, immer mehr Waffen in Kriegsgebiete zu senden und die Situation weiter eskalieren zu lassen. Er plädiert für unvoreingenommene Gespräche, offene Verhandlungen und ein friedliches Miteinander. Denn, so sagt er, sind wir alle Teil einer großen Menscheitsfamilie. Der begeisterte Beifall der Besucher signalisiert, dass er mit seinem Wunsch nach Deeskalation, Frieden und Verständigung die Herzen der Besucher erreicht hat und auf große Zustimmung gestoßen ist.